Samstag, 20. Juni 2015

365 Tage zuvor.

Ich sitze in Quito am Flughafen, höre eine Durchsage nach der nächsten. Ich werde von Gate zu Gate geschickt, sitze dann endlich am Richtigen und lese dann,
dass unser Flug 3 Stunden Verspätung hat. Ich genieße das freie W-Lan, schreibe mit meiner Familie und Freunden aus Deutschland. 
 Die Vorfreude steigt und gleichzeitig ist doch alles so ungreifbar und unreal wie 10 Monate zuvor. Wir schreiben den 19.06.2014, den Tag, an dem ich mein 2. Zuhause für unbestimmte Zeit 
wieder verlasse, an welchem ich noch einen letzten Atemzug ecuatorianischer Luft nehme, bevor es weiter geht nach Amsterdam. Der Flieger rollt über die Landebahn, 
ich genieße noch ein letztes Mal jedes Bild welches sich mir aus diesem winzigen Flugzeugfenster bietet, sehe den Sonnenuntergang über den Wolken und zwischendrin sehe ich noch die Spitze eines Vulkans. -Zwischenlandung in Guayaquil- doch dann, eine Stunde später heißt es wirklich: Das Abenteuer geht zuende. Heimreise.
Aus dem kleinen Fenster sehe ich noch ein Teil der beleuchteten Stadt, dann nichts mehr als Dunkelheit. Noch eine letzte Träne. Ich stecke mir meine Kopfhörer in die Ohren und versuche zu fliehen. Oder doch zu bleiben? 
 
Und damit ein herzliches Hallo ihr Lieben!
 
Ist es nicht unfassbar? Heute vor genau einem Jahr bin ich wieder in Deutschland gelandet, habe meine Familie wieder in die Arme geschlossen, habe mit Freunden zusammen einen Schluck Sekt am Flughafen getrunken, habe nach langer Zeit mein Verlangen nach Döner gestillt und genüsslich wieder ein Leberwurstbrot gegessen.  Und Gestern vor einem Jahr war ich genau in der oben beschriebenen Situation. Dort ist alles zuende gegangen. Ich habe das Gefühl, die Zeit nach der Heimkehr verflog noch so viel schneller als die Zeit in Ecuador. 1 Jahr, 365 Tage lang habe ich mein Zuhause nicht gesehen, nicht gerochen, nicht erlebt. 1 Jahr lang habe ich an einigen Tagen Heimweh verspührt, Heimweh ans andere Ende der Welt. Es sind Dinge eingetreten, welche ich noch vor Ort niemals für möglich gehalten habe. Manchmal habe ich das Gefühl, nicht komplett zu sein, einfach weil ein bedeutender Teil fehlt. Gestern zum Beispiel war ein Tag, der mich innerlich sehr aufgewühlt hat. Es war nicht nur der Geburtstag meines Neffen, welchen ich nach einem Jahr wieder mit ihm zusammen verbringen durfte, sondern es war eben auch der Tag, der mich selber noch einmal richtig verändert hat.
Die letzten beiden Tage, Gestern und Heute, zeigen mir noch einmal ganz deutlich, wie schnell die Zeit vergeht. Wie kurz das Leben eigentlich ist und wie dankbar man für alles was man jetzt gerade hat sein sollte, denn man weiß nie, wie lange man es noch hat oder wann man es das nächste Mal wieder hat.
All die Dinge, von denen man geglaubt hat, man hätte sie womöglich vergessen, sind wieder da. Ich erinnere mich daran, dass ich mir Sorgen gemacht habe, eventuell das alles zu vergessen, mich nicht mehr an alles erinnern zu können, dass die Bilder der Erlebnisse einfach so verschwinden und es dann so ist, als sei ich nie weg gewesen, als hätte ich nirgends in der Welt meine Fußspuren hinterlassen. Ich hatte Angst, als ein Niemand wieder heimzukehren. Heute weiß ich, nichts davon ist wahr. Die Bilder in meinem Kopf sind so real und scharf, als sei ich erst Gestern geflogen, als wäre das alles erst Gestern passiert. Die Stimmen von Freunden und Familie dort sind noch so real. &' ich bin so verdammt stolz darauf, sagen zu können, JA ich habe noch Kontakt nach Ecuador! Ich bin nicht vergessen worden, genauso wie ich die Leute dort nicht vergessen habe. Das kann ich gar nicht, sie alle sind Teil eines einzigartigen Abenteuers, eines Kapitel in meinem Leben, welches zu den schwersten, schrecklichsten, lehrreichsten und schönsten meines Leben gehört und somit sind sie auch alle Teil meines Herzens geworden!
Ich bin Ihnen allen so unfassbar dankbar und am liebsten würde ich sofort meine Sachen packen, mich in den Flieger setzten und zurück fliegen, alle in den Arm nehmen, die Augen schließen und tief einatmen.
Ich freue mich immer riesig wenn ich eine Nachricht aus Ecuador bekomme und gleichzeitig ist es auch so unreal zu wissen, dass sich auch dort schon wieder so viel verändert hat seitdem ich weg bin. Trotzdem freue ich mich darauf, hoffentlich in absehbarer Zeit zurück zu fliegen in meine 2. Heimat!

Auch wenn man es nicht glauben kann, man hinterlässt Fußspuren. Man hinterlässt immer einen Teil von sich und kehrt ohne diesen Teil wieder zurück. Wenn man sich dazu entscheidet, für eine Gewisse Zeit im Ausland zu leben, dann entscheidet man sich automatisch auch dafür, einen Teil von sich abzugeben. Und genau das ist das Besondere, denn es ist nicht immer nur schlecht, sondern im Gegenteil. Den Teil, den man abgibt, den "tauscht man aus" gegen etwas, was man mit keinem Geld der Welt bezahlen kann und was einem niemand wegnehmen kann. Manchmal ist es wie einer kleiner Ort zum flüchten, wenn der Alltag einen wieder einholt. Das Wissen, dass ich mich dorthin irgendwie, in irgendeiner Weise hin zurückziehen kann, verleiht mir sehr oft neue Kraft, neue Motivation und neuen Mut!
Und das ist eines der schönsten Dinge, die man haben kann auf dieser Welt.